Forschungsprojekt mit bundesweiter Strahlkraft
UmweltinnovationenKläranlage Seehausen optimiert den Energieverbrauch und verbessert die Klimabilanz
Die Kläranlage in Bremen-Seehausen ist unverzichtbar für die Infrastruktur des Bundeslandes wie auch der umliegenden niedersächsischen Gemeinden. Sie reinigt jedes Jahr ca. 50 Millionen Kubikmeter Abwasser nach dem aktuellen Stand der Technik.
Viele Bremerinnen und Bremer kennen die Anlage – schließlich haben sie in ihrer Schulzeit dorthin einen Ausflug gemacht. Dabei lernten sie so beeindruckende Fakten wie die Wassermenge, die durchschnittlich jeden Tag durch die Anlage geschleust wird: 130.000 Kubikmeter, genug für 52 olympische Schwimmbecken. Oder wie lange das Schmutzwasser braucht, bis es wieder gereinigt in die Weser gelangt: 45 Stunden.
Was viele nicht wissen: Um den endlosen Abwasserstrom zuverlässig zu reinigen, benötigt die Kläranlage große Mengen an Energie. Hauptverbraucher sind dabei Gebläse, die Druckluft für die so genannten Belebungsbecken erzeugen. In ihnen leben Mikroorganismen, die mittels des zugeleiteten Sauerstoffs organische Verbindungen im Abwasser zersetzen und es so reinigen.
Energieverbrauch mithilfe eines Forschungsprojekts senken
„Diese Gebläse haben nichts mit dem gemein, was man so aus dem Haushalt kennt. Das sind Industriegeräte mit einer Leistung im Megawatt-Bereich. Allein die Belüftung der Kläranlage Seehausen hat einen Energiebedarf von 10,8 Gigawattstunden pro Jahr", erklärt Professor Kai Michels vom Bremer Institut für Automatisierungstechnik.
Davon konnten sich Michels und sein Team aus Doktoranden und Studierenden im vergangenen Jahr ein Bild machen. Denn mit seinem Team besuchte der Professor damals die Anlage, um sein neues Projekt „Klär_opt: Energieoptimale Regelung für die Belebungsstufe C der Kläranlage Seehausen“ gemeinsam mit hanseWasser, dem Betreiber der Anlage in Seehausen, zu starten. Ihr gemeinsames Ziel: Den Energieverbrauch der Kläranlage allein durch eine neue, intelligente Regelung um rund zwei Prozent zu senken, was 125 Megawattstunden elektrischer Energie pro Jahr oder dem Verbrauch von 30 4-Personen-Haushalten entspricht – und das ohne bauliche Veränderungen.
Das Interesse des Professors an den Luftgebläsen kommt dabei nicht von ungefähr. Bei ihnen vermutet er großes Einsparpotenzial. „Die Belebungsbecken sind mehrstufig aufgebaut. Nachdem das Abwasser das sauerstoffreiche Becken durchlaufen hat, gelangt es in ein weiteres Becken, wo Sauerstoffmangel herrscht, damit dort anaerobe Bakterien Abfallprodukte weiter zersetzen können. Dieser Wechsel von sauerstoffreichen zu sauerstoffarmen Becken wird mehrmals wiederholt, um das Wasser zu reinigen. Und genau hier setzen wir an."
Exakte Dosierung mittels intelligenter Steuerung
Denn das Wechselspiel von sauerstoffreicher zu sauerstoffarmer Zone erfordert immer einen Balanceakt – ein wenig so wie das Einstellen des Wassers morgens am Duschhahn: Es soll nicht zu kalt und nicht zu heiß sein.
Ebenso muss das Wasser in der sauerstoffreichen Zone genug Luft erhalten, damit die Mikroorganismen ideal arbeiten können und alle Grenzwerte eingehalten werden. Gleichzeitig sollte aber möglichst wenig überschüssiger Sauerstoff eingeleitet werden – denn dieser beeinträchtigt die Arbeit der Bakterien in der folgenden anaeroben Zone.
„Die bisherige Regelung bläst bewusst Luft im Überschuss herein, um alle Grenzwerte einzuhalten. Wir wollen diesen Prozess nun verfeinern – stets unter Beachtung aller gesetzlichen Vorgaben“, so Michels.
Das Problem bestehe vor allem darin, die notwendige Menge an Sauerstoff exakt zu ermitteln, da sie von diversen Umweltparametern wie beispielsweise der Abwassertemperatur, der Salzkonzentration, der Art der Belüftungseinrichtung, der Atmung der Mikroorganismen oder der Zusammensetzung des Abwassers abhängig ist und sich täglich ändert.
Michels und sein Team wollen die benötigte Luftmenge in ihrem Forschungsprojekt nicht nur genau erfassen, sondern die Sauerstoffzufuhr intelligent steuern. Dazu simulieren sie mit einem dynamischen Computermodell der Kläranlage – bereitgestellt von hanseWasser – und implementieren unter Berücksichtigung realer Messwerte neue Steuerungsalgorithmen. „Wir wollen uns langsam von oben herantasten – die Sauerstoffmenge nach und nach reduzieren, ohne Sollwerte zu unterschreiten“, erklärt der Professor das Vorgehen.
Das kommt bei hanseWasser gut an. Seit 2015 arbeitet das gesamte Unternehmen klimaneutral und wurde dafür in den letzten Jahren mehrfach regional und überregional ausgezeichnet. 2021 erhielt hanseWasser den vom Bundesumweltministerium vergebenen Deutschen Umweltmanagementpreis.. „Mit dem Forschungsprojekt Klär-opt werden unsere eigenen Maßnahmen um innovative Techniken ergänzt, die wir alleine nicht einsetzen können“, so der hanseWasser Projektleiter Jörg Oppermann.
Ansatz durch Bremer Förderprogramm für Umweltinnovationen unterstützt
Dabei gebe es nicht den einen idealen Weg, um das Ziel zu erreichen. Michels setzt eine Doktorandin und einen Doktoranden auf das Thema an, beide mit einer eigenen Herangehensweise – sie konkurrieren wie in einem kleinen Wettbewerb miteinander, sollen sich aber auch gegenseitig ergänzen. Dabei kommen zwei verschiedene Verfahren zum Einsatz: Das eine ist eine adaptive Fuzzy-Regelung und das andere ein selbstlernendes Neuronales Netz.
Die erste der beiden Methoden wird dabei über das Förderprogramm AUF - Angewandte Umweltforschung durch die BAB – die Förderbank für Bremen und Bremerhaven im Projekt "Klär_opt" finanziert.
Das Förderprogramm der Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau unterstützt die Erforschung von neuen umwelt- und klimagerechten Technologien durch wissenschaftliche Institute in Zusammenarbeit mit Partnern aus der Industrie.
BAB-Innovationsmanager Dr. Detlef Pukrop, der dieses Förderprogramm betreut, brachte die Universität und hanseWasser zu diesem geförderten Projekt zusammen: „Schon in den ersten Gesprächen mit den Projektpartnern wurde nicht nur das große wissenschaftliche und wirtschaftliche Potenzial des Vorhabens deutlich, sondern auch der Umweltnutzen sowie die gemeinsame Zielorientierung und Lust an der Forschung“.
„Wir schätzen die Zusammenarbeit mit der BAB sehr und freuen uns, auch in diesem Projekt gemeinsame Wege zu gehen“, ergänzt Michels.
Mehr als nur eine Kläranlage im Blick
Sollten sich die Simulationen als erfolgversprechend erweisen, hofft Michels, dass eine der Methoden in den nächsten ein bis zwei Jahren auch im realen Arbeitsablauf der Anlage implementiert wird.
Und noch viel mehr: „Wenn wir gute Ergebnisse erzielen, könnte ich mir vorstellen, den Algorithmus auch in anderen Kläranlagen in Deutschland einzusetzen. So können wir auch einen Beitrag zum klimagerechten Umbau der Wirtschaft leisten“, wünscht sich der Professor.
Gerade durch neue Technologien wie etwa künstliche Intelligenz und die stetig wachsende Rechenkapazität sieht er noch großes Optimierungspotenzial in vielen großtechnischen Anlagen: „Wir können heute Prozesse steuern, deren Regelung vor 30 Jahre undenkbar war. Gleichzeitig steigt die Komplexität immer weiter, wir müssen dem Menschen künftig intelligente Steuerungen zur Seite stellen, um diesen Anforderungen gerecht zu werden.“
Das Förderprogramm Angewandte Umweltforschung (AUF) wird von der Bremer Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau sowie aus den Mitteln des EFRE - Europäischer Fonds für regionale Entwicklung gefördert und von der BAB – Die Förderbank für Bremen und Bremerhaven administrativ betreut.
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