Mit Augenmaß in die Zukunft
WirtschaftsförderungWie hat man sich ein alteingessenes Handwerksunternehmen der Orthopädie-Schuhtechnik vorzustellen? Bilder einer kleinen Werkstatt entstehen im Kopf, mit traditionellen Werkzeugen auf der Werkbank, einer Nähmaschine, dazu der Geruch von Leder, Gummi und Klebstoff, eine Vorrichtung zum Schleifen und Polieren mit bröseligen Materialresten auf der Arbeitsbühne… Die Indorf Orthopädie-Schuhtechnik GmbH & Co. KG in Bremerhaven entlarvt solche Vorstellungen schnell als vorurteilshaftes Klischee. Hier haben Rolf Indorf und Sohn Tim mit einem neuen Firmengebäude, neuen Dienstleistungen sowie neuen und ergonomischen Produktionsmethoden die Weichen auf Wachstum und Zukunft gestellt.
Ihre neue Immobilie in der Rudloffstraße 64 weihten die beiden Orthopädie-Schuhmachermeister zusammen mit ihren zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie zahlreichen Gästen am 8. Juni 2018 ein. Das Gebäude mit circa 450 Quadratmetern Fläche umfasst einen Empfang, Werkstätten sowie Lager-, Büro- und Sozialräume. „Mit dem Neubau machen wir das Unternehmen fit für die nächsten 81 Jahre“, so Tim Indorf. Er spielte damit an auf die Gründung des Unternehmens im Jahr 1937 in der Seestadt. Das städtische Grundstück (gut 1.700 Quadratmeter) für den Neubau hatte Indorf über die BIS Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtentwicklung mbH erworben. Zusammen mit der BAB - der Förderbank für Bremen und Bremerhaven - konnte die BIS darüber hinaus das Investitionsvorhaben durch eine Investitionsförderung im Rahmen des Landesinvestitionsförderprogramms (LIP 2014) unterstützen. „Die Wirtschaftsförderung, die Bremer Aufbau-Bank und die Weser-Elbe Sparkasse haben uns mit Rat und Tat wunderbar unterstützt, alles ging Hand in Hand“, lobt Junior Tim Indorf im Rückblick das gemeinsame Engagement aller Beteiligten. Indorf bietet orthopädische Schuhversorgung, Neuschuhfertigung, Schuhzurichtungen und Einlagen (auch für Sicherheitsschuhe) sowie Schuhreparatur an. Die Produkt- und Dienstleistungspalette wurde sorgsam abgewogen und klar definiert. „Unser Vorteil liegt darin, dass wir keinen Online-Shop unterhalten müssen. Wir liefern Handarbeit, und wir machen auch keinen klassischen Maßschuhbau. Wenn wir Schuhe anfertigen, dann immer mit orthopädischem Hintergrund. Allerdings versorgen wir viele Sportler mit passenden Schuhen“, erläutert Indorf Junior die Firmenphilosophie.
Eine umfassende Kundenberatung mit individuellen Bedarfsanalysen, diversen Messungen wie elektronischen Druck- und Ganganalysen - diese Dienstleistungen und der Einstieg des Juniors ins Familienunternehmen führten in den vergangenen Jahren zu einer rapiden Ausweitung des Geschäfts. Eurogate, die Lloyd-Werft, Tchibo, NTB, die BLG, Frozen Fish (Iglo), Senvion und andere - die Kundenliste ist schnell immer länger geworden.
Die Kundenliste ist schnell immer länger geworden.
„Ich bin 2008 als Geselle in das Unternehmen eingestiegen und habe 2013 die Meisterschule abgeschlossen, von da an waren wir zwei Orthopädie-Meister im Unternehmen und konnten hierdurch mehr Aufträge abarbeiten. Mein Vater ist nach wie vor mit voller Kraft im Betrieb aktiv. So konnten wir unser Portfolio erweitern und haben zahlreiche neue Kunden hinzugewonnen“, skizziert Tim Indorf die Entwicklung der vergangenen Jahre, die schließlich zur Entscheidung für die neue Firmenimmobilie führte.
Wenn Indorf sich nicht im Büro aufhält, wo unaufhörlich die Telefone Aufmerksamkeit einzufordern scheinen, ist er unterwegs. Rund 90 Prozent seiner Tätigkeiten übt er nach eigener Einschätzung weder im Büro noch in der Werkstatt, sondern vor Ort bei seinen Kunden aus. Dabei geht es um Beratung - etwa zum das Thema Arbeits- und Sicherheitsschuhe, um Grundlegendes wie individuelle Fußmessungen, um Produktentwicklung, für die Arbeitsplatzbegehungen oder dynamische Druckmessungen an den Füßen beim Kunden erforderlich sein können, um individuelle Ganganalysen, oder auch um die Abschätzung erforderlicher Sicherheitsklassen für das Schuhwerk in rauheren Arbeitsumgebungen. Und natürlich geht es immer auch um Ergonomie und Bequemlichkeit.
Es gilt der Grundsatz „Geht nicht - gibt’s nicht“
In der Regel liefern Partner die Schuhe nach den Vorgaben aus den orthopädischen Analysen. Bei Großkunden wie Eurogate, die es auf einen Jahresbedarf von mehreren 10.000 Paar Schuhen jährlich bringen, kann das ein Direktvertrieb sein. Bei Kunden mit einem überschaubareren Bedarf liefert Indorf selbst oder stellt Kontakte zu den passenden Lieferanten her. Wo bestehende Schuhmodelle partout nicht passen wollen, kann Indorf mit Schuhzurichtungen, Einlagen oder nach Maß angefertigtem Schuhwerk punkten. Es gilt der Grundsatz: „Geht nicht - gibt’s nicht“. Im neuen Firmengebäude stehen nun moderne Maschinen, die sich per Knopfdruck auf individuelle Arbeitshöhen der Mitarbeiter einstellen. Aufwändige Absaugvorrichtungen und Filter sorgen für saubere Luft in den Werkstätten. Die Werkbänke weisen unterschiedliche Arbeitshöhen auf. Die Vorrichtungen für die orthopädische Anpassung der Schuhe sind mit Hubbühnen ausgestattet - ein Segen für Kunden (Rollstuhlpatienten) und Mitarbeiter. Es gibt einen 3D-Drucker, der Datensätze der Fuß-Scanner und -Kameras in einen passgenauen Leisten für den Maßschuh verwandelt.
Im Leistenlager bei Indorf lässt sich nachvollziehen, wie es ohne 3D-Drucker traditionell lief und teils noch bis heute praktiziert wird. Der Orthopäde ermittelte früher an den Füßen der Kunden die Maße und stellte danach aus einem Buchenholzblock diejenigen Leisten her, über denen der individuelle Schuh gefertigt wurde. Moderner und nach wie vor im Einsatz ist die Technik, einen Gipsabdruck des Fußes zu nehmen als Vorgabe für einen Leisten, der anschließend mit einem plastischen Schaum ausgekleidet wird. Rund 1000 solcher Leisten hängen - nach Nummern in Griffhöhe sortiert - nach wie vor bei Indorf, ein wertvolles Inventar für nachfolgende Bestellungen.
Das Modell des Fußes per 3D-Scanner, CAD-Software und Drucker statt per Gipsabdruck herzustellen, bringt zeitlich zunächst keine Ersparnis, berichtet Tim Indorf. Der große Vorteil bestehe aber darin, dass mit dem Scanner, der nach Form und Größe Ähnlichkeit mit einer handlichen Staubsaugerdüse aufweist - überall gearbeitet werden kann, also auch direkt bei den Kunden vor Ort. Das Hantieren mit Abdeckplanen und Putzeimern bei Gipsabdrücken entfällt. Nach einem kurzen kreisförmigen Schwenk um die Füße der Kunden liefert der Handscanner exakte und reproduzierbare Ergebnisse.
Der „weltweit 5. Kunde...“
Der Umgang mit CAD-Software und 3D-Drucker will geübt sein. Indorf ist Pionier in seiner Branche, so viel ist sicher. Die neue Apparatur stammt von der Firma go-tec aus Münster in Westfalen, Indorf hat sich „als weltweit 5. Kunde“ für dieses Equipment entschieden, wie er sagt. Wer zu den Early Adoptern - den frühzeitigen Anwendern neuer Technologien - zählt, kann zunächst nicht auf Unterstützung durch eine breite Nutzer-Community bauen, sondern muss häufiger nach dem Trial-and-Error-Prinzip vorgehen. Gleichbleibende Qualität des Ausstoßes und die Maßhaltigkeit der Ergebnisse können noch perfektioniert werden, räumt Indorf ein, es werde zunächst mit einzelnen Projekten nach Fortschritten gesucht. Aber zwei Maschinen stehen bereits im Haus, demnächst wird eine dritte dazukommen. „Mir war klar, dass man nicht einfach loslegen konnte. Aber ich will einer von denen sein, die sofort richtig loslegen können, wenn es mal soweit ist. Wirtschaftlich lohnt sich die neue Technik ohnehin erst, wenn die Maschinen rund um die Uhr im Einsatz sind.“ Und es gibt einen weiteren Grund, sich frühzeitig nach vorn zu orientieren: Wie viele Branchen, haben auch die Anbieter von Orthopädie-Schuhtechnik erhebliche Probleme, an qualifizierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu kommen. Man müsse Lösungen finden, wie sich unter solchen Umständen künftig Erleichterung und Unterstützung im Arbeitsprozess organisieren lasse, ist man bei Indorf überzeugt.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden in die Planungen aktiv einbezogen
Offenheit und Flexibilität sind gefragt, wenn es um Herausforderungen durch neue Technologien und Abläufe geht. So wie bei Indorf, als die Werkstätten, Büros und Sozialräume am neuen Standort in der Rudloffstraße 64 geplant wurden. Vater und Sohn plotteten ihre eigenen frühen Skizzen auf DIN A1-Bögen und baten ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um Feedback und Verbesserungsvorschläge. Es seien daraufhin noch viele Details geändert worden, berichten die Indorfs. Diskutiert wurde auch über die neuere elektrische Reparaturmaschine im Nähraum, die jetzt vorne links neben dem Eingang in der Ecke steht. Sie ruht dort „in Ungnade“, weil sich die Belegschaft einhellig dafür ausgesprochen hat, nicht auf dieser, sondern weiter auf der historischen Adler-Nähmaschine mit Fußantrieb zu arbeiten. Sie erlaube ein Handling mit mehr Gefühl, und sie wird deshalb weiterhin mit großem Respekt bedient und gewartet.
Eine Finnbahn rund um das Firmengebäude
Im kommenden Jahr wollen die Indorfs eine Art Mini-Finnbahn mit Stein- und Teerstreifen rund um das neue Firmengebäude in der Rudloffstraße legen. Kunden und Kundinnen sollen so die Möglichkeit erhalten, mit ihren neuen orthopädischen Schuhen oder Einlagen schonmal eine Proberunde zu laufen. In den Details wird deutlich: Die Indorfs öffnen das Tor in die Zukunft mit Augenmaß.
Mehr zur LIP-Förderung, speziell in Bremerhaven, erfahren Sie bei Dr. Jennifer Schweiger von der BIS, Tel. 0471 94646605, schweiger@bis-bremerhaven.de.
Erfolgsgeschichten
Stromversorgung die reibungslos funktioniert? Gestensteuerung bei Flugzeugen? Damit beschäftigt sich die AES GmbH in ihren zwei Forschungsprojekten.
ZUM ARTIKELDie Phototherapie gilt als günstige und gut verträgliche Behandlung für Menschen, die unter chronischen Hautproblemen wie Schuppenflechte oder Neurodermitis leiden. Damit diese jedoch Erfolg zeigt, müssen die Patientinnen und Patienten über einen langen Zeitraum regelmäßig eine Arztpraxis aufsuchen. Das muss doch auch von Zuhause aus funktionieren, dachte sich Jan Elsner, Gründer des Bremer Startups Skinuvita, und hat gemeinsam mit seinem Team ein Softwaresystem entwickelt, mit dem Betroffene die Therapie zuhause nutzen können. Damit gewann er 2024 sogar den Bremer Gründungspreis.
Zum ArtikelBremen hat schon einige spannende Start-ups hervorgebracht. Auf der Suche nach einer Wachstumsfinanzierung von professionell geführten Risikokapitalfonds wurden sie in der Vergangenheit nur außerhalb Bremens fündig. Dies ändert sich nun, denn das Investmentunternehmen Capnamic hat jetzt das First Closing des ersten Bremer Venture Capital-Fonds für Risikokapital umgesetzt.
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