Satelliten mit Anker
Luft- und RaumfahrtEinen Satelliten im Weltall um die eigenen Achsen zu drehen, heißt im Fachjargon Lageregelung. Auch wenn es dazu verschiedene Ansätze gibt – die Bremer ZARM Technik AG ist mit ihrem System zu einem Hidden Champion der Branche geworden.
Wie eine weiße Nadel ragt der 146 Meter hohe Fallturm im Bremer Technologiepark in den Himmel. Er ist in den vergangenen 30 Jahren zu einem Symbol für den aufstrebenden Wissenschaftsstandort an der Weser geworden. Den Fuß des schlanken Turms umgibt ein zweistöckiges Gebäude. Hier sitzt das ZARM – Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation. Oder besser gesagt: Hier befinden sich drei Organisationen unter dem Dach des ZARM. Zum einen das wissenschaftliche Institut der Universität Bremen, zum anderen die ZARM Fallturm-Betriebsgesellschaft, die den Fallturm für Forschung unter Schwerelosigkeit zur Verfügung stellt, und die ZARM Technik AG, die eigentlich gar nicht so viel mit dem Fallturm zu tun hat – dafür aber mit Weltraumtechnologien.
Denn die ZARM Technik AG hat sich seit 1997 zu einer Spezialistin für die Lageregelung von Satelliten im nahen Erdorbit entwickelt. „Europaweit sind wir bei jeder Ausschreibung dabei. Und auch in Japan oder in Amerika zählen die größten Raumfahrtkonzerne und -agenturen wie das NASA Jet Propulsion Laboratory oder Northrop Grumman zu unseren Kunden“, erzählt Holger Oelze, Geschäftsführer der ZARM Technik AG, stolz.
Lageregelung von Satelliten im nahen Erdorbit
Aber was genau können die Bremer so gut? Sie haben den sogenannten Magnet Torquer perfektioniert. Ein Gerät, das eingesetzt wird, um Satelliten um die eigenen Achsen zu drehen. Dabei verzichtet der Torquer vollständig auf bewegliche Teile – denn eigentlich ist er nur ein Elektromagnet.
In der Schwerelosigkeit richtet sich ein Magnet wie eine Kompassnadel selbstständig nach dem Erdmagnetfeld aus – und dieses Prinzip macht sich auch der Torquer zu Nutze. Durch geschickte Steuerung des Elektromagneten im Satelliten können die Bremer künstliche Himmelskörper am Erdmagnetfeld ausrichten, das Feld quasi als Anker für Drehmanöver nutzen.
Ein Drehvorgang dauert dabei bis zu mehreren Minuten. Das Drehmoment des Torquer ist nur sehr gering, im Vakuum und in der Schwerelosigkeit des Weltalls reicht das aber aus, um auch tonnenschwere Lasten zu bewegen.
Hochpräzision von Hand gemacht
Der Torquer kommt sowohl in Kleinsatelliten als auch schulbusgroßen Kolossen zum Einsatz. „Wir können Systeme von drei Gramm bis 25 Kilo bauen. Jedes System wird dabei spezifisch auf die Mission hin ausgelegt“, erklärt Peter Offterdinger, Technischer Direktor bei der ZARM Technik AG.
Offterdinger ist so etwas wie der Vater des Torquers, der von Anfang an bei der neuen Technologie an Bord war. Neben dem Satellitenmagneten haben er und sein Team zudem sogenannte Magnetometer entwickelt – Sensoren, die Magnetfelder ultrapräzise messen können und damit unter anderem ein wichtiger Bestandteil für die Funktion des Torquers sind.
Beide Geräte werden in Bremen am ZARM in filigraner Handarbeit konstruiert. „Das ist wie im Schweizer Uhrenbau. Wir konstruieren rund 15 Systeme im Jahr“, so Offterdinger. Insgesamt 30 Angestellte beschäftigt die ZARM Technik AG heute.
Ein Himmel voller Satelliten
Aus den 15 Systemen könnten in wenigen Jahren deutlich mehr werden. Denn in der Satellitenbranche gibt es gerade so etwas wie einen radikalen Umbruch. Verschiedene Firmen und Konglomerate wollen sogenannte Konstellationen ins All bringen – Schwärme von Kleinsatelliten, die im nahen Erdorbit bis rund 1.000 Kilometer Höhe in großer Zahl zusammenarbeiten. Sie sollen zum Beispiel das Internet bis in die entlegensten Winkel bringen.
Dabei planen sie mit zehntausenden Kleinsatelliten, die alle mit Magnet Torquern ausgerüstet werden könnten. „Der Markt wandelt sich und das stellt auch uns vor neue Herausforderungen. Wir müssen unsere Fertigungsmethoden ändern, zum Beispiel mehr auf Automatisierung setzen, um uns für die Zukunft zu positionieren“, führt Geschäftsführer Holger Oelze aus. Auch darum hat das Unternehmen beim bremischen Forschungsprojekt „5GSatOpt“ mitgemacht.
Raumfahrt in Bremen im Umbruch
Mit der Branche wandelt sich auch die Luft- und Raumfahrtindustrie in Bremen. Oelze ist Vorstandsvorsitzender des Raumfahrtnetzwerks Aviaspace Bremen e.V. und Partner des Bremer Start-up Inkubators ESA BIC der europäischen Weltraumagentur ESA. Er engagiert sich so für junge Unternehmen der Branche.
„Es tut sich was. So ist zum Beispiel der Bremer Raumfahrtkonzern OHB in den vergangenen Jahren stark gewachsen, dazu kommen viele auch sehr kleine Player und Start-ups mit frischen Ideen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die New-Space-Bewegung eine große Chance für Bremen ist. Wir können viel Wertschöpfung hierher holen“, ist sich Oelze sicher.
Davon profitiert auch das ZARM. Neben der Technik AG genießt auch das wissenschaftliche ZARM-Institut einen international exzellenten Ruf und arbeitet in einigen Forschungsthemen eng mit der Technik AG zusammen. Kein Wunder – sitzen Teams doch nur Flure auseinander.
BAB unterstützt bei Entwicklung entscheidender Komponenten
Auf dem Weg in die Zukunft setzt Oelze auch auf die BAB – Die Förderbank für Bremen und Bremerhaven. Gleich mehrere Male unterstützte die Förderbank in den vergangenen 15 Jahren die ZARM Technik AG mit Finanzmitteln, unter anderem bei der Entwicklung des Magnet Torquers und des Magnetometers.
„Das Beispiel ZARM Technik AG zeigt eindrucksvoll wie Talent, die richtige Idee und ein klein wenig Unterstützung zusammenwirken, um Bremer Wissen auf Weltniveau zu bringen. Ich bin überzeugt, dass die ZARM Technik AG auch in den kommenden Jahren den hervorragenden Ruf Bremens weiter bis ins All tragen wird“, so Dr. Norbert Möllerbernd, verantwortlicher Innovationsmanager der BAB.
Mit einem weiteren Paukenschlag hat das Unternehmen bereits vor Kurzem auf sich aufmerksam gemacht: Als einziges Unternehmen europaweit liefert es Komponenten für die sechs Erdbeobachtungssatelliten der Copernicus-Reihe – etwas, dass es aufgrund der europäischen Ausschreibevorgaben der ESA eigentlich gar nicht hätte geben dürfen. „Ich weiß auch nicht, wie wir das geschafft haben“, schmunzelt Oelze, während er die Nachricht verkündet. Aber natürlich weiß er es schon: Weil Bremen bei der Lageregelung von Satelliten nunmal ganz vorne mitspielt.
Erfolgsgeschichten
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